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VERNISSAGE: Freitag, 31. Oktober, 19:30 Uhr
Einführung: Eva Appel und Stephan Wiesehöfer im Gespräch mit den Künstlerinnen
Weinsponsor: Weingut Braunewell
So unterschiedlich die Wege der beiden Künstlerinnen sind – der Titel trifft etwas Gemeinsames: Hildegard Müller [Hilkka Myy] löst Gewissheiten zu Vieldeutigkeiten auf. Anne Kuprat erlöst Masse von der Schwerkraft.
HILDEGARD MÜLLERs Bilder zeigen Menschen oft in Unruhe, in Aufruhr. Sie knien und stemmen sich gegen die Bildkante oder lassen sich von roten Tropfen berieseln. Im Schmerz? In einem reinigenden Akt?
Eine schmächtige Gestalt hockt auf einem hohen Stuhl mit wackligen Beinen. Oder: Ein Gesicht schaut uns an, durchwirkt, durchlöchert von wilden Hintergründen. Proportionen verschieben sich, Individuen und Gegenstände fremdeln mit ihrer Position im Raum. Oft taucht eine Art Gitternetz oder Sprossenfenster auf. Ein Symbol für Ordnungssysteme, die uns vorgesetzt werden? Vielleicht.
Alle Arbeiten haben etwas Offenes, sind „nicht fertig“. Hildegard Müller will „nicht einfach Wohnzimmer behübschen“, sondern Denkräume öffnen. Sie stellt Sicheres in Frage und öffnet Geschlossenes. Wir müssen uns unseren eigenen Reim auf die Bilder machen, unsere Imagination anspringen lassen. So werden wir Teil des kreativen Geschehens.
Den Umriss zieht Hildegard Müller dem Individuellen vor. Denn ihre Themen betreffen viele von uns in Zeiten der Über-Komplexität und Unsicherheiten. Sie sieht uns verwöhnt und gleichzeitig gefangen „wie in einer Box“. Wir wissen nicht mehr, was und wer wir sind. Wir verlieren uns, lassen uns ablenken, abdrängen. Zu wenig Selbst, zu viel Influence.
Die Künstlerin arbeitet auf Leinwand in Mischtechnik und digital auf dem i-Pad. Das Digitale wird matt oder hochglänzend auf Aludibond- oder Acryl-Platten gedruckt. So leicht, luftig und glatt sind kein Papier und keine Leinwand.
Sie lacht. Möglicherweise geht sie einmal mit Kratz- und Schabe-Instrumenten auf die Aluminiumplatten los. Sie mag das Experimentieren mit Verbergen und Enthüllen, Vernebeln und Bloßlegen, Abdecken und Durchscheinen-Lassen. Bei großen Papierarbeiten lässt sie sich gern vom Material führen und verführen.
Kunst ist für sie eine lebenslange Abenteuer- und Erkundungsreise durch unser Leben. Zu gern rüttelt sie am allzu willig hingenommenen Status quo und betreibt fantasievolle Verunsicherung. Sich selbst lässt sie dabei nicht aus. Wie wäre es, mal mit der linken Hand zu zeichnen: „Die rechte weiß schon zu viel.“
> Homepage von Hildegard Müller [Hilkka Myy]
ANNE KUPRAT fühlt sich mit Biologie und Kunst „leidenschaftlich verbunden“. Das spüren wir vor ihren teils bemalten Menschengestalten aus Papiercaché, ebenso wie bei ihren Tierfiguren. Die erschafft sie nur mit Umrissen und zierlichen Beinen. Das Volumen spart sie aus, zwischen den Konturen ist Luft. „Raum-Zeichnungen“ nennt die Künstlerin diese Skulpturen schlicht.
An Lebewesen fasziniert sie das Nicht-Geerdete, Nicht-Gerade, Zwei- und Vierbeiner in unsicherem Stand. Wir sehen mit ihr in eine Bewegung hinein, in einen Augenblick unmittelbar vor einem Schritt, der die Position verändern wird. Ein Standbild unmittelbar vor einer Bewegung. Betont werden daher die Extremitäten, die den Rumpf mitnehmen und forttragen. Sie werden deutlich gelängt.
Menschen erschafft sie nach Modellen, ihre Lieblingstiere Ziege, Steinbock, Stier aus der Fantasie. Tiere sind ihr als Modelle lieber als Menschen, weil nicht so steif.
Eine Bronze-Skulptur bemalt sie schon mal mit weißer Farbe. Damit treibt sie dem Material die Massivität und den Anspruch auf Unsterblichkeit aus. Die Bronze-Figur einer Frau mit überlangen Gliedern lässt sie an Drähten waagerecht in der Luft schweben. Zarte Umriss-Linien in Bronze zu gießen ist eine technische Herausforderung, denn jedes der dünnen Formteile braucht seinen eigenen Abfluss- und seinen Entlüftungskanal. Für große und überlebensgroße Skulpturen schneidet sie Kuperrohre in drei Meter lange Stücke und biegt sie in Form.
Etwas ganz Besonderes sind ihre Tier-Skulpturen aus Zweigen – oft aus dem eigenen verwunschenen Garten. Sie wählt sich die passenden Stücke für Konturen, Beine und Gehörne aus und bindet sie mit Schnur zusammen. Verbindungen, so organisch und fließend, dass sie kaum auffallen.
Manchmal findet die Künstlerin einen „ausdrucksstarken“ Zweig, der zum geplanten Tier so gar nicht passt. Dann schwenkt sie schon mal um auf ein Mischwesen oder ein anderes Tier. Auch dann fühlt sich ihr Verfahren so naheliegend, biologisch so „richtig“ an, als habe die Natur die Zweige dafür vorgesehen. Aus Pflanze wird Tier. Schließlich verleibt sich eine Ziege Pflanzen ein, und ein Reh ist gleichsam ein Teil des Waldes.
Mit ihren Raumzeichnungen kommt Anne Kuprat der Tier-Seele so nahe wie prähistorische Künstler in ihren Höhlenmalereien.
> Homepage von Anne Kuprat
Kuratoren-Team: Eva Appel, Elfi Braun, Stephan Wiesehöfer
Bilder © Hildegard Müller
Skulpturen © Thomas G. Tempel, Susan Geel